Meinem Igel geht es sehr schlecht. Ich will mit ihm zum Tierarzt gehen / ich war mit ihm schon beim Tierarzt.
Was kann ich noch tun?
Oft sind Tierärzte mit spezifischen Diagnosen und Behandlungen bei Igeln überfordert, weil der Igel im Tierarztstudium leider nur am Rande vorkommt. Der Tierarzt gibt dann in guter Absicht eine Entwurmungsspritze oder ein Spot-on-Präparat, die für andere Tierarten entwickelt worden sind, einem Igel aber mit hoher Wahrscheinlichkeit sehr schaden. Oder sie sind nicht wirksam.
Die Entwurmungsmedikamente, die von igel-unkundigen Tierärzten einmalig verabreicht werden, heißen Ivomec, Advocate, Stronghold oder Dectomax.
Wenn Sie dies lesen, bevor Sie zum Tierarzt gehen, halten Sie den Tierarzt unter allen Umständen davon ab, diese Mittel zu geben. Lassen Sie ihn nicht mit dem Igel in einem Nebenraum verschwinden, ohne dass Sie mitgehen dürfen. Fallen Sie ihm, wenn es gar nicht anders geht, in den Arm, wenn er Ihnen nicht sagt, was er spritzen will, oder wenn es die o.g. Medikamente sind.
Wenn Sie dies lesen, nachdem Ihr Igel beim Tierarzt eine einmalige Spritze bekommen hat und es ihm hinterher extrem schlecht geht, kann man dem Igel höchstens noch mit Infusionsspritzen viel Flüssigkeit unter Haut spritzen, um das unverträgliche Medikament in der Blutbahn zu verdünnen. Der Igel muss Wärme erhalten (handwarme Wärmflasche). Sollte der Igel überleben, muss er wahrscheinlich per Spritze mit der Hand (zwangs-)gefüttert werden. Tägliche Gaben von Vit.-B-Komplex unterstützen das Abklingen von neurologischen Ausfallerscheinungen. Dies kann bis zu drei Wochen notwendig sein. Bei Igeln, die zwar dann stabil sind, aber motorische Schwierigkeiten („Wackeln”) zurückbehalten haben, ist von einer Auswilderung abzuraten. Sie müssen in einem Freigehege untergebracht oder doch noch euthanasiert werden.
Die unangebrachten Medikamente im Einzelnen:
1. Ivomec passiert bei Igeln, anders als bei Hunden und Katzen, die Bluthirnschranke und bewirkt entweder nach wenigen Stunden den Tod des Igels, oder es erzeugt über bestimmte Umwege schwerste neurologische Schädigungen, Bewegungsanomalien (z. B. lebenslanges “Wackeln”), Nahrungsverweigerung u.v.m. Jeder Igelstationsbetreiber kennt die Situation, in der von erschütterten Igelfindern sterbende Igel gebracht werden, die zuvor von unkundigen Tierärzten Ivomec injiziert bekommen hatten. Man kann dann allenfalls durch Infusionen die Ivomec-Konzentration im Blut verdünnen und, wenn der Igel überlebt, aber nicht frisst, ihn durch Handfütterung ernähren, bis er wieder beginnt, selber zu fressen. Das kann sich über Wochen hinziehen.
2. Für Advocate gilt Ähnliches, auch wenn das Mittel “nur” äußerlich verabreicht, d. h. in den Nacken geträufelt wird. Anders als in der sonst von mir strikt befolgten Schrift “Igel in der Tierarztpraxis” des Dachverbandes Pro Igel e. V. lehne ich die Verwendung von Advocate ab: Leiter einer mir bekannten Igelstation konnten in Erfahrung bringen, dass die Versuchsreihen, die die Verträglichkeit für Igel bescheinigten, mit gesunden, erwachsenen Tieren durchgeführt worden sind. Aber die kleinen, geschwächten Jungigel werden mit ihren Innenparasiten zusammen durch Advocate umgebracht, wie man als Igelstationsbetreiber immer wieder durch sterbend gebrachte Tiere erfahren muss. Dies mag auch darauf zurückzuführen sein, dass das Mittel für deutlich kleinere Tiere als Katzen extrem schlecht und ungenau zu dosieren ist und dadurch immer wieder stark überdosiert verabreicht wird. Aber auch die Wirkstoffe an sich sind für kleine schwache Igel oft tödlich.
3. Es kommt auch vor, dass ein Tierarzt einem Igel eine Levamisolspritze gibt. Dies ist im Prinzip sinnvoll, so lange der Igel über 250 g wiegt und stabil ist. Aber es muss unbedingt nach 48 Stunden eine zweite Levamisolspritze gegeben werden, sonst ist die Wirksamkeit der ersten stark herabgesetzt.
4. Die Wirksamkeit von Stronghold oder Dectomax gegen Lungenwürmer ist laut der Pro-Igel-Schrift “Igel in der Tierarztpraxis” nicht gegeben bzw. fragwürdig. Bei unvollständiger Entwurmung können Igel längst nicht so gut zunehmen wie nach vollständiger Parasitenbeseitigung. Unter Umständen geht kostbare Zeit verloren, so dass es schließlich für eine Auswilderung vor dem Winterschlaf zu spät wird. Zu den Problemen der Tiere kommt noch ein Winterschlaf in der Pappkiste hinzu. Wenigstens sind diese Medikamente i.d.R. nicht lebensgefährlich.
Übrigens: „Impfen” kann man gegen Parasiten leider nicht, denn wenn der Igel in der Natur auch nur eine einzige Schnecke frisst, hat er bereits wieder Wurmeier aufgenommen. Man kann nur durch Entwurmung den schon vorhandenen Befall entfernen, durch Aufpäppeln dem Untergewicht entgegen wirken und durch Vitamingaben die Widerstandsfähigkeit des Igels stärken.